Die US-Wahl aus der Sicht eines Studenten

Mein Kommiltone Jonathan Voges ist für ein Jahr in die USA zum Studium und hat das erste Highlight dort schon erlebt: Die Wahl von Barack Obama zum ersten schwarzen Präsidenten der USA. Seine Eindrücke hat er für meinen Blog zusammengefasst.

Von Jonathan Voges

Ich trage Buttons am Revers meiner Jacke. Eine ganze Reihe in verschiedenen Größen und Farben. Fliegende Händler an der linken und rechten Seite der sich in der Ferne verlaufenden Menschenschlange verkaufen sie und machen am heutigen Tag sicher das Geschäft ihres Lebens. Jeder trägt sie, manche dezent an die Mütze geheftet, andere am ganzen Körper, dass es bei jedem Schritt klappert. Die leicht segelohrige Person auf den Pins lächelt, schaut hoffnungsvoll in die Zukunft oder ist in heimeliger Familienidylle abgebildet.

Ich stehe und warte, warte darauf, nach einer Sicherheitskontrolle (alle Buttons sind des Metalldetektors wegen für einen kurzen Augenblick abzunehmen), wieder warten zu dürfen. Mitleidsvoll denke ich an die Personen mit dem Button-Kettenhemd... Mit gut 100 000 Amerikanern unterm Gateway Arch – dem Symbol der Westward Expansion, das im Folgenden den auftretenden Rednern für das ein oder andere Wortspiel, für mehr oder weniger geglückte Metaphern und Vergleiche herhalten wird müssen. Nach der ersten Stunde auf dem Platz – mit musikalischer Untermalung durch eine Soul-Gruppe, die Obama-Songs und des Lokalkolorits auch "Proud Mary" intoniert – scheinen sie die Sicherheitskontrollen gelockert zu haben. Jedenfalls kommen nun die Menschenmassen nicht mehr vereinzelt auf den grünen Hügel, sondern in einem einzigen Erguss ergießt sich das Menschenmeer über die Wiese. So muss sich Mel Gibson in Braveheart gefühlt haben, als die Verstärkungstruppen anrückten. Es wird applaudiert, im Grunde weiß ich nicht warum, aber man will ja nicht gleich als fremd erkannt werden und so klatscht man mit.

Nach weiteren anderthalb Stunden treten auch die ersten Redner auf. Begonnen wird – jo, that’s America – mit einem Gebet. Die Masse scheint bewegt zu sein, mir entgeht offensichtlich das bewegende Moment. Um zu beweisen, dass die so erzeugte Stimmung noch zu steigern ist, wird arg pathetisch die Nationalhymne zu Gehör gebracht. Es folgen Redner im dritt- oder zweitklassigen Format. Man meint, dass sie nur ausgewählt wurden, um den Mainact des Tages in noch hellerem Licht erscheinen zu lassen. (By the way: In Abwandlung zum deutschen Kaiserwetter herrscht Obamawetter.) Ein average man from the street, ein unterbezahlter Mathelehrer aus der Umgebung, ist auserkoren, die einleitenden Worte für den eigentlichen Grund des Daseins zu sprechen, der kurz darauf hemdsärmelig erscheint und der Menge winkt. Die ersten Reihen schwenken Posten und kleine Fähnchen, der Rest schwenkt Hände oder Fotoapparate; ergo: Man sieht erst einmal gar nichts, die Bewegung der Masse lässt allerdings Einiges spüren.

Irgendwann legt sich auch die frenetische Begeisterung, die Hände senken sich, die Rede beginnt. Zunächst eine Geschichte über einen Zwischenstopp in einem Café auf dem Weg. Obama wollte anscheinend Sweet-Potatoe-Pie speisen (wiederum frenetischer Jubel – scheint eine lokale oder soziale Spezialität zu sein, ich kann nur schwer ein Würgen unterdrücken...), und wie es der Zufall so will, verstrickt er sich in ein politisches Gespräch mit dem erzrepublikanischen Cafébesitzer (der nicht einmal Süßkartoffelkuchen hat – Pff!), der am Ende dann aber doch einsieht, dass es besser sei, die Demokraten zu wählen. Das ist der Stoff, aus dem Präsidenten gemacht sind! Nur wahre Präsidenten können aus fragwürdigen Süßspeisen noch politisches Kapital ziehen. Die Begeisterung ist kaum mehr zu bremsen. Selbst der von Natur aus kritische Mitteleuropäer, findet das Geschichtchen nett, wenn es nicht unbedingt Süßkartoffeln gewesen wären. Von dieser Abart der Erdapfelfamilie geht es dann übergangslos in die undurchdringlichen Gefilde der Weltökonomie. Die main message ist im Grunde, dass wenn man alles in den USA produziert, es den Amerikanern besser ginge – wiederum frenetischer Jubel. (Ich denke an American Engineering und amerikanische Autos, an denen immer irgendetwas ist, sei es, dass die Klimaanlage Wasser verliert, sodass der im Fond Sitzende immer mit einem Handtuch wischen muss, sei es, dass sie immer so klingen, als ginge es nicht mehr lange weiter und so weiter – verhalte mich aber still.)

Verzückt lässt Obama die Menge zurück, die sich massenweise in Richtung Metrostation schiebt und nun auch noch die bislang noch verschonten Teile der Parkanlagen zertrampelt. Kurz nach zehn Uhr am Morgen klingelt es zum ersten Mal an der Tür. Mein Mitbewohner ist schon seit sechs Uhr unterwegs: Wählen und anschließend andere Personen zum Wählen überreden. Ich habe eigentlich noch geschlafen (was soll’s, ich bin Student. Wann kann ich es mir schon mal wieder erlauben, bis zehn zu schlafen, wenn ich erst einmal groß bin?) Verschlafen wie ich bin, werde ich gefragt, ob ich schon voten war. In Halbschlafenglisch kann ich mich als Deutscher und damit nicht wählfähig kenntlich machen, dass ich aber sicher den Kandidaten gewählt hätte, der dem Fragenden das T-Shirt bezahlt hat. Er lächelt und klingelt beim Nachbarn. Um 11.53 Uhr klingelt es wieder. Diesmal sind sie zu zweit. Wiederum die Frage, ob ich schon gewählt habe, wiederum meine Antwort (s.o.), diesmal zwar nicht mehr verschlafen, dafür aber hungrig („Studenten und Hunde/Fressen zu jeder Stunde.“). Der Weg zur Universität dann ein Spießrutenlaufen, um nicht dauernd Personen in die Hand zu laufen, die mich mit ihren Clip-Boards gerne ins Wahllokal begleiten oder mir wenigstens den Weg dorthin zeigen möchten, damit ich auch ja das Wählen nicht vergesse. In der Uni geht es weiter. Die Fenster einzelner Gebäude sind mit „Change“ und „Obama“ oder beidem bemalt. Überall hängen Plakate. In den Buchläden sind die Obama-Action-Figuren abgesetzt (ich schlage zu, macht sich gut im Bücherregal).

Abends dann zu einer privaten Election-Party. Im Halbkreis sitzt man um einen Fernseher, auf dem immer wieder neue Zahlen angezeigt werden, die für mich erst nach der Erklärung durch die Umsitzenden einen Sinn ergeben. Jeder gewonnene Staat für Obama ist einen freudigen Aufschrei wert, bei jedem für die Gegenseite, war es allen von vornherein klar, dass dieser nicht zu gewinnen gewesen ist. Ich esse Chips (mehr als mir gut tut), trinke Wein aus Ikea-Plastikbechern und habe meinen Spaß, weil alle glücklich sind, da es von Anfang an gut aussieht für Obama. Selbstgebackene Cookies werden mit blauem Frosting verziert. Sie sehen wirklich nett aus, schmecken aber furchtbar (wegen der Verzierungen, die aussehen und munden, wie Importe aus der Bitterfelder Versuchsküche)! Irgendwann stellt Mbcsn dann hochoffiziell fest, dass Obama gewonnen hat. Man liegt sich in den Armen, lacht über McCains Versuche, die Niederlage schönzureden, hat Spaß an Pannenkonvoluten merklich überforderter Reporter und beginnt bei der Rede Obamas stellenweise zu weinen, da er tatsächlich rührende Geschichten auf angenehme Weise zu erzählen weiß – diesmal auch ohne seine Kuchenvorlieben preiszugeben.

Der Weg nach Hause gestaltet sich dann zu einem Hupkonzert, das wahrscheinlich nur mit der Feier einer gewonnenen Fußballweltmeisterschaft für die Türkei in Berlin Neukölln zu vergleichen wäre. Alle Sicherheitsvorkehrungen missachtend werden Plakate aus Schiebedächern geschwenkt, Hände aus Fenstern gestreckt und was sonst noch alles dazu gehört.

2 Kommentare:

C.H. hat gesagt…

Hey Jonathan,

Grüße nach Amerika (Ja, jetzt kann man wieder hoffnungsvoll nach Amerika grüssen... ;-))Schön geschriebener kleiner Artikel, war sehr amüsant zu lesen. Aber trotz der all der Überzeichnungen (im Artikel) kann man sich ruhig schon mal fragen, ob nicht ein bißchen von dem Theater, was sich da in den USA abgespielt hat, unserer politischen Landschaft auch mal wieder ganz gut tun würde.

Ich hab die Wahlnacht im Übrigen mit Hilfe der ZDF-Internet-Sendung (Claus Kleber und seine Studentengang) verfolgt. Wahlsendung WEB 2.0 quasi, und wenn sich bei dir auch nur annähernd das abgespeilt hat, was sich dort in der Sendung abgespielt hat, dann hattest du ohne jeden Zweifel eine Menge Spaß... ;-)

Grüße, Christian

MatzeM hat gesagt…

Ja, so wie ich das in letzter Zeit alles vefolgt habe, kann vor allen Dingen dem ZDF nur gratuliert werden.
Die HAZ hat im Übrigen auf ihrer heutigen Medienseite, die ARD ganz klar zum Wahlverlierer der Fernsehanstalten hier in Deutschland ausgemacht werden. Nicht nur, dass keine Zuschauer oder keine "Emotionen" eingefangen wurden (das ZDF hat immerhin von einer Wahlparty in Berlin berichtet), auch Jörg Schönborn, Hanni Hüsch und Andreas Cichowitz wirkten mehr übermüdet als hellwach.

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